Tiefbiss

Der kieferorthopädische Befund „Tiefbiss“ beschreibt einen vergrößerten Überbiss der oberen Schneidezähne über die unteren Schneidezähne. Normalerweise beißen die oberen Schneidezähne etwa 2-3 mm über die unteren Schneidezähne. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen hat ca. 50% der jugendlichen Normalbevölkerung einen vergrößerten Frontzahnüberbiss, der bei 6-7% der Kinder sogar mehr als 6 mm beträgt [26]. In besonders ausgeprägten Fällen verschwinden die unteren Frontzähne gänzlich hinter den oberen Frontzähnen, man spricht dann von einem Deckbiss. Sehr häufig haben die unteren Scheidezähne nach oben keine Abstützung, werden somit immer länger und beißen schließlich in die Gaumenschleimhaut ein. Es besteht die Gefahr von Verletzungen im Bereich des vorderen Gaumens.

Der tiefe Biss beschreibt also eine veränderte Relation beider Kiefer in der vertikalen Ebene. In den meisten Fällen jedoch ist der tiefe Biss keine isolierte Erkrankung, sondern vielmehr vergesellschaftet mit Defiziten in anderen Raumebenen.

Grundsätzlich stellt der ausgeprägte Tiefbiss eine aus kieferorthopädischer Sicht therapiebedürftige Diagnose dar (siehe KIG-Tabelle – 5.1.1). Um eine Bisshebung zu erzielen kann der Kieferorthopäde zwei unterschiedliche Therapieansätze wählen. Entweder werden die Frontzähne etwas in den Kiefer zurück geschoben (Intrusion) oder die Backenzähne verlängert (Extrusion). Eine Kombination beider Varianten ist ebenfalls denkbar. Es ist Aufgabe des jeweiligen Behandlers herauszufinden von welcher Möglichkeit der Patient im Einzelfall am meisten profitiert. Dabei ist die Ausgangssituation stets günstiger, je jünger der Patient ist. Bei ausstehendem Wachstum im Kiefer können die Knochenumbauprozesse gezielt gesteuert und zur Förderung der vertikalen Entwicklung genutzt werden. Bei erwachsenen Patienten ist eine Steuerung des Wachstums nicht mehr möglich und so müssen in diesem Fall aktive Mechanismen verwendet werden. Naturgemäß ist diese Behandlung deutlich anspruchsvoller. In schwierigen Fällen reicht die kieferorthopädische Behandlung allein nicht mehr aus und es müssen Kombinationen mit chirurgischen und/oder prothetischen Maßnahmen in Erwägung gezogen werden.

Therapiemöglichkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Wachstum:
h) Herausnehmbare Spangen → Funktionskieferorthopädische Geräte
→ Aktive Platten mit frontalem Aufbiss
i) Extraorale Geräte → zervikaler Headgear
j) Multibracketapparatur („feste Spange“)

Therapiemöglichkeiten bei erwachsenen Patienten:
f) Multibracketapparatur
g) Multibracketapparatur in Kombination mit chirurgischen Maßnahmen zum Anheben des Bisses
h) Kombinationen mit prothetischen Maßnahmen zur geteilten Bisshebung

Für die langfristige Stabilität einer Bisshebung ist die Anstützung der unteren Frontzähne durch die oberen Frontzähne besonders wichtig. Ein erneutes „länger werden“ dieser kann so effektiv verhindert werden. Innerhalb der Retentionszeit sollte diese frontale Abstützung besonders beachtet werden.

Offener Biss

Als frontal offener Biss versteht man das fehlende vertikale Überlappen der Schneidekanten von den oberen und unteren Frontzähnen. Beim Zusammenbeißen zeigt sich folglich eine deutliche Lücke zwischen den Zähnen. Als seitlich offener Biss wird eine Lücke zwischen den Backenzähnen des Ober- und Unterkiefers bezeichnet. In beiden Fällen kann der Patient nicht richtig abbeißen und/oder kauen.

Durch wissenschaftliche Untersuchungen konnte herausgefunden werden, dass es mehrere Faktoren gibt, die eine Entstehung des offenen Bisses begünstigen. Hierzu zählen vorwiegend genetische Komponenten, anhaltendes Daumenlutschen, ein falsches Schluckmuster, Zungenpressen und die gewohnheitsmäßige Mundatmung (siehe Vorsorgemaßnahmen).

Grundsätzlich stellt der offene Biss eine aus kieferorthopädischer Sicht therapiebedürftige Diagnose dar (siehe KIG-Tabelle), um die eingeschränkte Kau- und Abbeißfunktion zu verbessern. Stark offene Bisse können den Lippenschluss erschweren und somit Lispeln oder andere Sprachstörungen hervorrufen. Das erste Behandlungsziel sollte das Abstellen der oben genannten Angewohnheiten sein. Ohne das Ausschalten der ungünstigen Weichgewebseinflüsse (Zunge, Wangen und Lippen), der Umstellung auf Nasenatmung und dem Erlernen eines anderen Schluckmusters wird eine erfolgreiche Therapie schwierig. Häufig werden für diesen Schritt Logopäden herangezogen, die mit dem Patienten neue Bewegungsmuster einüben und somit die Umgewöhnung erleichtern. Eine Zusammenarbeit von mindestens zehn Sitzungen erscheint hier sinnvoll.

Je nach Alter des Patienten und Größe des Ausmaßes sind weiterhin verschiedene Therapiemöglichkeiten vertretbar. Im Allgemeinen gibt es zwei Ansatzpunkte. Zu einen kann das vertikale Wachstum des Oberkiefers gehemmt werden, um eine weitere Öffnung des Bisses zu verhindern, d.h. die natürlichen Wachstumsprozesse werden abgeschwächt. Dieser Ansatz ist nur bei Patienten in der Wachstumsphase, bei Kindern- und Jugendlichen, möglich. Zum anderen werden die Zähne gezielt in der Länge verändert. Je Lokalisation des offenen Bisses können sowohl Front- als auch Backenzähne „verlängert (extrudiert) oder „verkürzt“ (intrudiert) werden. Solche Maßnahmen sind auch später im erwachsenen Alter durchführbar. In ausgeprägten Fällen reicht die kieferorthopädische Behandlung allein nicht mehr aus. Dann müssen Kombinationen mit chirurgischen Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Zudem kann es in manchen Fällen hilfreich sein, bleibende Seitenzähne im hinteren Bereich zu opfern, um eine absenkende Wirkung des Bisses zu erzielen.

Therapiemöglichkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Wachstum:
a) Abschirmgeräte für die Zunge
→ Spike Apparatur
b) Herausnehmbare Spangen → Funktionskieferorthopädische Geräte
→ Seitliche Aufbissbehelfe (Bite-blocks)
c) Herausnehmbare Spangen in Kombination mit extraoralen Geräten
→ Teuscher-Aktivator in Kombination mit einem High-pull Headgear
d) Multibracketapparatur („feste Spange“)
e) Extraktion von Backenzähnen zum Absenken des Bisses

Therapiemöglichkeiten bei erwachsenen Patienten:
a) Abschirmgeräte für die Zunge → Spike Apparatur
b) Multibracketapparatur
c) Multibracketapparatur in Kombination mit chirurgischen Maßnahmen zum Schluss des Bisses
d) Extraktion von Backenzähnen zum Absenken des Bisses

Seitlicher Kreuzbiss

Der seitliche Kreuzbiss beschreibt ein Szenario bei dem die oberen Backenzähne zu weit innen und die unteren Backenzähne zu weit außen stehen. Beim Zusammenbeißen entsteht der so genannte Kreuzbiss – das Zusammenbeißen über Kreuz. Diese Erkrankung kann sowohl einseitig, also auch beidseitig auftreten. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen haben 9% aller kaukasischen Jugendlichen einen einseitigen und 4% einen beidseitigen Kreuzbiss [26]. Die nicht ganz so stark ausgeprägte Form der Erkrankung, bei der die Kauflächen er Backenzähne genau aufeinander treffen, nennt man Kopfbiss.

Der Kreuzbiss stellt eine klare Indikation für eine kieferorthopädischen Behandlung dar. Die Notwendigkeit einer Therapie ist auch gemäß der Einstufung deutscher Krankenkassen gegeben (siehe KIG-Tabelle). Zudem sollte ein seitlicher Kreuzbiss nach Möglichkeit zügig überstellt werden, da die Gefahr der Ausbildung eines Zwangsbisses besteht, bei dem der Patient durch die Zahnfehlstellung in einer seitenverschobenen Position zubeißt. Liegt nun über einen längeren Zeitraum ein solcher Zwangsbiss vor, kann das harmonische Oberkieferwachstum gestört werden und ggf. eine Anpassung der knöchernen Strukturen an die vorliegende Zahnfehlstellung eintreten. Diese asymmetrische knöcherne Entwicklung des Ober- und Unterkiefers ist dann deutlich aufwändiger zu therapieren.

In der Regel stellt die transversale Nachentwicklung (Vergrößerung der Kieferbreite) des Oberkiefers die Therapie der Wahl dar. Je nach Ausmaß des Kreuzbisses können größere und kleinere Behandlungsmittel, wie z.B. herausnehmbare Plattenapparaturen, die Gaumennahterweiterungsapparatur (GNE) oder auch eine feste Zahnspange Verwendung finden.

Therapiemöglichkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Wachstum:
a) Herausnehmbare Spangen
→ TD-Platte
b) Multibracketapparatur („feste Spange“) mit speziellen Gummizügen
c) Transpalatinalbügel (TPB)
d) Quad-Helix-Apparartur
e) Gaumennahterweiterungsapparatur (GNE)

Therapiemöglichkeiten bei erwachsenen Patienten:
a) Multibracketapparatur
b) Multibracketapparatur in Kombination mit chirurgischen Maßnahmen (chirurgisch unterstützte Gaumennahterweiterung – GNE)

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